Harvard oder Hillsdale College? Der Quotenstreit

Hillsdale ist ein kleines Städtchen im südlichen Michigan, ein von den Verwerfungen des Strukturwandels nicht verschonter Ort, der ganz unverkennbar zu dem Teil des mittleren Westens gehört, der Donald Trump entscheidend zu seinem Wahlsieg verhalf. Es ist jener sagenumwobene, fast vergessene Teil Amerikas, den deutsche Journalisten wie Claas Relotius von Zeit zu Zeit aufsuchen, wenn sich ihre hartnäckigen Vorurteile nach Bestätigung sehnen.

Zwar verfügt Hillsdale über ein voll im Saft stehendes privates College. Das allerdings ist ebenfalls klein und schafft es nicht in die internationalen Schlagzeilen. Dafür aber in die nationalen Schlagzeilen. So erst kürzlich, als das Wall Street Journal einen Kommentar veröffentlichte, der das kleine College auf Augenhöhe mit dem mächtigen Harvard hievte. Mehr noch: Das Journal beschwor die elitäre Forschungsuniversität aus Massachusetts geradezu, sich doch endlich eine Scheibe von dem kleinen Hillsdale abzuschneiden. Verständlicherweise sorgte der Artikel für Heiterkeit bei vielen der nur knapp 1.400 Studierenden in Hillsdale – und bei den Lehrenden erst recht.


Harvard hat nämlich aktuell ein echtes Problem in Form eines von asiatischstämmigen Interessenvertretern angestoßenen Rechtsstreits bezüglich seiner Aufnahmepraxis. Es geht darum, ob es sich mit Harvards indirekter staatlicher Förderung in Einklang bringen lässt, dass Bewerber dort auch nach Kriterien beurteilt werden, die stark mit der Hautfarbe konnotiert sind. Die Praxis wird im Sinne demographischer Vielfalt verteidigt und führt tatsächlich zu einer höheren Repräsentation historisch unterdrückter amerikanischer Schwarzer – allerdings auf Kosten vor allem der traditionell leistungsstarken Studierenden asiatischer Abstammung. Letztere wären, ginge es bei dem Auswahlverfahren farbenblind zu, auf dem Harvard-Campus im Vergleich zu ihrem Bevölkerungsanteil wohl genauso überrepräsentiert wie sie es aktuell an den staatlichen Universitäten Kaliforniens sind. Dort werden seit einer Volksabstimmung im Jahre 1996 keine Hautfarbenkritierien mehr bei der Bewerbung angewandt. Es ist also eine Frage der Abwägung von Vielfalt und Gleichbehandlung.


Hillsdale College hingegen hat den seltenen Vorzug, dass es weder direkt noch indirekt öffentliche Hilfen in Anspruch nimmt. Nicht einmal staatlich unterfütterte Studienkredite werden akzeptiert, sondern durch private Mittel ersetzt. Das College ist deshalb weitgehend frei von den beschwerlichen zusätzlichen Regulierungen, die auch mit einer nur teilweisen staatlichen Finanzierung einhergehen. Es kennt die demographische Zusammensetzung der eigenen Studentenschaft gar nicht, denn es führt darüber keine Statistik. Dafür kann es auf die eigene Gründungstradition verweisen, die schon seit 1844, als es in den Südstaaten noch die Sklaverei gab, jegliche Diskriminierung verbietet, und zwar nicht nur im Hinblick auf Farbe, sondern auch auf Geschlecht und Nationalität. Von letzterem profitiert aktuell der Autor dieser Zeilen.


Die auch dem Wall Street Journal nicht entgangenen Vorteile der Hillsdale-Philosophie könnten sich für Harvard in seiner aktuellen Situation als nützlich erweisen, wenn auch mit anderer Zwecksetzung. Während Hillsdale die Freiheit von staatlicher Beeinflussung historisch dazu genutzt hat, die eigene Antidiskriminierungspolitik, die ihrer Zeit stets voraus war, ungestört fortzusetzen, könnte das ohnehin reiche Harvard in Zukunft auf öffentliche Gelder verzichten, um sich vom staatlichen Diskriminierungsverbot quasi freizukaufen. Auf letzteres pochen nämlich die Anwälte der asiatisch-amerikanischen Interessenvertretung. Harvard könnte so auch weiterhin auf eine als moralisch geboten empfundene, demographische Durchmischung setzen, allerdings ohne dafür weiterhin in juristisch turbulentes Fahrwasser zu geraten.


Freilich gäbe es noch eine weitere Option für die Elite-Uni, nämlich nicht nur die Mittel, sondern auch den Zweck von Hillsdale College zu übernehmen, und auf diese Weise eine egalitär-meritokratische Aufnahmepolitik mit der Vermeidung staatlicher Bevormundung zu verbinden. Wenn das vergleichsweise bescheidene College in Michigan es schafft, anfallende Studiengebühren durch private Stipendien weitgehend abzudecken, wäre eine ähnliche Großherzigkeit dem legendären Harvard erst recht zuzutrauen.


Dies wäre übrigens nicht nur eine willkommene Geste dem amerikanischen Steuerzahler gegenüber. Vor allem den Studierenden wäre mit kompletter Farbenblindheit ein Dienst erwiesen, und zwar unabhängig von der Hautfarbe. In der Vergangenheit waren es afro-amerikanische Intellektuelle wie Walter E. Williams, Jason L. Reilly, oder Thomas Sowell, die die stärksten Argumente gegen eine positive Diskriminierungspolitik à la Harvard ins Feld geführt haben. Denn die schadet oft jenen am meisten, denen zu helfen ihre Befürworter vorgeben. Durch die Bevorzugung schwarzer Studierender entsteht unter den Bildungseinrichtungen ein Wettbewerb um die Erfüllung künstlicher Vorgaben, die auf spezifische Fähigkeiten und Bedürfnisse kaum Rücksicht nehmen. Das Resultat ist eine fehlerhafte Zuweisung – ein „mismatch“ – zwischen Universitäten und Studierenden, die beinahe zwangsläufig zu einer gegenseitigen Frustration führt. Sowell hat deshalb auf Kalifornien verwiesen, wo sich echte Verbesserungen in den Abschlussraten von Minderheiten bemerkbar machen, seit die positive Diskriminierung abgeschafft wurde.


Der Prozess gegen Harvard wird zunächst an einem Bundesgericht in Boston entschieden, doch schon jetzt rechnen fast alle Beobachter damit, dass er letztendlich vor dem Supreme Court landet. Dieser dürfte – unter dem Eindruck der von Präsident Trump neu ernannten, konservativen Richter Gorsuch und Kavanaugh – gegenüber der Diskriminierung eine skeptische Haltung einnehmen. Noch wäre Zeit für die Elite-Uni, umzusteuern und den juristischen Streitereien die Grundlage zu entziehen. Das Modell Hillsdale könnte dabei hilfreich sein.


Anmerkung: Eine Version des obigen Beitrags erschien zuerst beim Deutschen Arbeitgeber Verein.

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